Wir flogen gegen Engeland

Jeder RV-4-Bauer hat sicher schon einmal den Satz "Fighter like feel" in einer der Broschüren oder Webseiten von Vans gelesen. Und viele sprachen in gleichem Zusammenhang schon von Me109, Spitfire, Luftkampf oder vom "Jagdflugzeug des kleinen Mannes". Es soll sogar welche geben, die heimlich und regelmäßig an Ihrem Steuerknüppel rumfingern und dabei die Geräusche eines Maschinengewehrs nachahmen. Wie viele Siegesrollen fanden in Gedanken über den weißen Kreidefelsen von Dover statt, während der geschlagene Gegner in seiner brennenden Maschine zu Boden geht. Klar fällt es schwer, einem derart blutigen Kapitel der Geschichte irgendwelche romantischen Gefühle abzuringen. Die erschreckende und gruselige Wahrheit ist, dass sich damals 20-ährige Fliegerburschen, angezettelt von Onkel Vollmeise und seinem schwachsinnigen Fanatikergesindel, einen Kampf auf Leben und vor allem Tod lieferten. Freizeitvergnügen und Abenteuer war das für diese jungen Männer sicher nicht. Trotzdem geht von "der Luftschlacht um England" bis heute eine gewisse Faszination aus, was Filme, Computerspiele, Zockerkreise, unzählige Bücher und Bildbände, Dokumentationen und Flugshows recht eindeutig beweisen. So träumten auch Christian, Dirk, Josef und ich seit Jahren von unserem Flug im selbstgebauten Flugzeug über das große blaue Wasser zur "Flying Legends Airshow" nach Duxford.

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Neben einem geeigneten Fluggerät braucht es dafür ein stabiles Hochdruckgebiet, sonst kommt man nicht hin oder der Tommy behält einen für unbestimmte Zeit in Gefangenschaft. Da es am Wochenende vor dem potentiellen Ausflug gutes Wetter geben sollte, mailte ich Dirk am Mittwoch in der Mittagspause an und fragte nach seinen Plänen für Samstag. Völlig überraschend erhielt ich den Einsatzbefehl: "Wir fliegen morgen im Pulk, wenn du mit willst, sei früh in Uelzen". Ja sind die noch zu retten, schon am Donnerstag rüberzuknattern. Ich rief Ulli an und erhielt kurz darauf die Freigabe der "Obersten Heeresleitung". Jetzt bleibt mir ein Nachmittag, um Kartenmaterial zu besorgen, die Flugvorbereitung zu machen, zu packen und den Flieger durchzuschauen. Auf den Schreck kaufte ich mir erstmal eine Schachtel Kippen an der Tankstelle. Ich trainierte derzeit für Marathon und hatte seit Monaten keine Zigarette mehr in der Hand. Aber mein Flugzeug raucht ja auch und gerade als Ausdauersportler weiß ich einen guten blauen Rauch zu schätzen.
Am Morgen des 08.07.2010 startete ich aufmunitioniert und vorbereitet in den Sonnenaufgang. Mensch, heute geht es übers Wasser zum Feind. Ich übte den Schulterblick und nahm mir vor, drei mal in der Minute nach hinten zu schauen. "Keep rubbernecking boys". Genau genommen befinde ich mich als konservativer Bayer und gläubiger Katholik bereits nördlich des Spessart über Feindesland. Sprechgruppen wie "Grüß Gott" sind möglichst zu vermeiden, denn Bremen Information, auch genannt "Feindliche Funkaufklärung" hört stets mit. Ich tarnte und täuschte mit "Moin" und landete nach 1,5 Stunden in Uelzen. Doch da quietschten so früh noch die Blechschilder und der pfeifende Wind wehte trockene Büsche zwischen den Hallen durch. Ich rollte mit offener Haube zu Dirk's Hangar und zog aus der Bewegung heraus den Mixer. Mit aufgelegtem Ellenbogen bremste ich mit Angeber-Eisdielen-Kehre direkt vor dem Tor und zündete mir noch angeschnallt eine Kippe an. John Wayne und Clint Eastwood wären vor Neid erblasst und Bruce Willis hätte vermutlich heimlich in sein dreckiges Unterhemd weinen müssen. So eine Nummer ist mir aber peinlich und läuft nur, wenn keiner zuschaut. Der Flugplatz in Uelzen ist echt ein Traum und Dirk ist wirklich zu beneiden. Kurz darauf treffe ich Christian alias "Matul" und wir erzählen Flugzeuge und rauchen Zigaretten, bis der Landvogt, Graf von und zu Schlichtenhorst, die 2 km vom Bett bis zum Flugzeug bewältigt hat. Das ist echt ein Traum hier oben...
Als Josef mit seiner silbernen RV-4 wenig später zur Einsatzbesprechung in Dirks Hangar eintrifft, ist die Rotte vollzählig. Die Unterkunft der wunderschönen D-EEES ist ein echtes Männerparadies. Werkstatt, Biertheke, Wohnwagen und Basteleien in jeder Ecke. Wir gehen den Flugplan durch und diskutieren die Strecke mit folgendem Ergebnis: Start in Uelzen um Mittag, Zwischenlandung in Midden-Zeeland (Niederlande) mit Treibstoffergänzung zum Weiterflug nach Fowlmere nahe Duxford. Das ist sinnvoll, da Duxford während der Airshow geschlossen bleibt und daher die Möglichkeit einer vorzeitigen Wetterflucht nicht besteht. Und Zwischenlandung ist auch sinnvoll, weil man dann die Schwimmweste nicht die ganze Zeit tragen muss und mit maximalem Treibstoff auch wieder komplett zurück fliegen kann, falls die englische Küste im Nebel verschwinden sollte. Matul wird mit der Katana "Formation Lead" fliegen und zudem die Reisegeschwindigkeit vorgeben und für die Kommunikation mit Amsterdam und London sorgen. Während Dirk seine Ecko-Sierra klarmacht, fahren Matul und ich in den Supermarkt zum Bier holen. Schließlich wollen wir in England auf unsere Landung anstoßen und nicht auf dem Trockenen sitzen.
Pünktlich hebt der Verband aus einer Katana und drei RV-4 von Uelzen ab. Bei bestem Wetter vertreiben wir uns die Zeit mit Formationsflug und Gemischoptimierung. Ich sinniere noch ein wenig über die Südkomponente in unserem Kurs und frage mich, warum ich heute Vormittag nach Norden geflogen bin. England ist doch da links oben. Falsch gedacht, England ist da drüben unten. Ich kneife die Augen zusammen und suche den Horizont ab. Die holländische Grenze ist erreicht und wir hören den Funkverkehr mit, den Matul freundlicherweise für uns erledigt. Wir wechseln mehrfach die Frequenz und werden stets weitergereicht. Die Niederlande ziehen sich aber auch lang auf diesem Kurs und mittlerweile sind wir mehr als zwei Stunden in der Luft. Beim Anflug auf Midden-Zeeland lösen wir die Formation und jeder meldet sich selbständig an. Ich bin Nummer zwei hinter der Katana und verschätze mich etwas in der Höhe, weil alles so unendlich flach ist.
Es bietet sich eine gute Gelegenheit, den Spritverbrauch zu vergleichen, da wir in Uelzen alle voll getankt haben. Die Reisegeschwindigkeit lag stets zwischen 110 und 115 Knoten. Dabei verbrannte die Katana 60 Liter Mogas. Meine Tago-Lima gab sich mit 49 Litern zufrieden. Das ergibt bei einer Flugzeit von 2Stunden 43 Minuten einen Verbrauch von 18 Litern pro Stunde. Wir marschieren alle auf den Tower um die teure Suppe zu bezahlen. Josef, Matul und Dirk waren die allgemeine Höflichkeit und wickeln die Bezahlung in Englisch ab. Das sehe ich nicht ein, da alle Holländer hervorragend deutsch sprechen. Außerdem habe ich für unsere Nachbarn etwas übrig. Dazu waren die Holländer an diesem Tag bereits im Endspiel der Fussball-WM und die deutsche Elf hatte das Halbfinalspiel gegen Spanien verloren. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen polterte ich heraus: "Einmal 49 Liter Sprit bitte und Holland wird Weltmeister". Sofort lenkte ich blitzartig alle Blicke auf mich und nach schallendem Gelächter antwortete der Mann im Tower in bestem, akzentfreien Deutsch: "Na hoffentlich, das macht 84 Euro". Meine RV leidet furchtbar an Heat-Soak und läuft nur widerwillig, als ich mit Vollgas zum Cafe herüber rolle. Die Mannschaft schüttet je zwei alkoholfreie Biere in sich herein und das Gespräch meidet aktiv den bevorstehenden Flug über das Wasser. Westlich von Midden-Zeeland ist es blau und leer und die Strecke über See beträgt etwa 160 km. Als ich den Alkoholgehalt auf der Pilsflasche mit kleiner als 0,2% lese, frage ich mich, wie viel Alkohol sich wohl in holländischem Mogas befindet. Jedenfalls wird der Testflug über der Nordsee stattfinden und sollte mein Ellison TBI, der schon deutsches Mogas nur mit Mucken herunterwürgt, nicht zufrieden sein, wir es irgendwann kalt und salzig. Irgendwie schmeckte jetzt auch das niederländische, alkoholfreie Bier kalt und salzig. Kurz nach dem Start betrug die Öltemperatur 200° Fahrenheit. Kein Wunder  bei Vollgas bis auf 5000 ft bei 30° C von NN angefangen. Aus Erfahrung weiss ich, dass mein Motor bei diesen Temperaturen aufgrund des Alkoholgehaltes im Mogas unrund läuft. Ich schwöre, dass ich zuschauen konnte, wie mir graue Haare wuchsen, als ich die Leistung reduzierte, um mich in die Formation einzuordnen. Sekunden später ging die Küste durch und ich wusste, jetzt siehst du kein Land mehr, zumindest für die nächsten 40 Minuten. Als begeisterter Bergwanderer stand ich schon auf mehreren Gipfeln in den Alpen und in den Anden. Trotzdem möchte ich bei aller Bescheidenheit behaupten, dass ich mich noch nie so klein und unbedeutend gefühlt habe wie damals in meinem kleinen blauen Flugzeug in 5000 ft mitten über der Nordsee. Zwischen Hintern und der gnadenlosen Salzbrühe befinden sich nur zwei lächerliche Blechtafeln, die ich auch noch selber ausgeschnitten und vernietet habe. Die Öldruckanzeige, die Öltemperatur und die Zylinderkopftemperatur erhalten in einer solchen Situation einen anderen Stellenwert. Ich durchlebte die gesamte Bauphase meines Flugzeugs und war auf einmal für jede Pingeligkeit und übertriebene Sorgfalt unendlich dankbar. Die Erkenntnis, im selbst fabrizierten Karton zwischen den Kontinenten unterwegs zu sein (Ich weiss, es geht nur zu den Inselaffen aber es fühlte sich so an) sorgte für einen Trip, der eine ganze Weile anhielt. Zufrieden stellt ich fest, dass die Öltemperatur wieder auf 160° Fahrenheit gesunken war. Dirk, Josef und Matul gondelten keine 200 m entfernt um mich herum, dennoch fühlte ich eine unendliche Einsamkeit und Leere. Unsere kleinen Flieger und das große Meer. Die Sicht betrug 50 km in jede Richtung und keine Küste war zu sehen. Ein Gefühl aus Anspannung und Abenteuer entlockte mir ein heimliches Grinsen. Nur nichts anfassen, Finger weg vom Tankwahlventil und nur ganz vorsichtig mit dem Gashebel spielen, um in der Formation zu bleiben. Ich lauschte meinem Lycoming und atmete durch die Nase, um eventuell einen verdächtigen Geruch frühzeitig wahrzunehmen.

Die Mühle muckte aber nicht und so schweiften meine Gedanken wieder 70 Jahre zurück. Diese armen Jungs flogen nicht aus Jux und Dollerei nach England um Flugzeuge zu erzählen und Bier zu saufen. Die waren auch bei Scheißwetter hier und hatten die besten Aussichten draufzugehen. Eine wahrhaft schaurige Vorstellung. Ich lief Gefahr, unser frisches Abenteuer als lächerlich aufzufassen und lenkte mich ab, indem ich in Richtung Kurs das Land suchte. Laut GPS sollten es noch 40 km bis zur Küste sein. Tatsächlich, nach endlosem Ausharren erschien endlich still und schleichend die englische Küste am Horizont. Es sind noch über 30 km. Falls die Kiste jetzt abkackt, reicht es noch nicht bis an den Strand. Was für eine dämliche Schlagzeile würde wohl jetzt ein Motorversager produzieren? Als die englische Küste unter dem Flügel durchging änderten wir den Kurs auf Folwmere, ein kleiner ehemaliger Kriegsflugplatz kurz hinter Duxford. Jetzt heißt es Augen auf und 6 Uhr Position kontrollieren. Ohne Zweifel befinden sich einige Spitfire in der Nähe. Dies war in Kursrichtung tatsächlich der Fall und was die wohl mit uns gemacht hätten, wenn die eine Rotte einmotorige Jerryfighters mit Kurs Folwmere erwischt hätten...


Die wunderschöne englische Landschaft mit ihren Hecken und Feldern, kleinen Ortschaften mit Kirchtürmen, umringt von Bruchsteinhäuschen sah bei 3/8 Cumulus so verdammt nach einer Filmszene aus "die Luftschlacht um England aus", dass ich mir Balkenkreuze auf den Flügel wünschte und den Knopf zum "Farbe wegdrehen" im Cockpit suchte. Matul machte wieder den Funkverkehr und wiederholte zu x-ten Mal sämtliche Kennzeichen seiner Formation. Wir machten einige Übergaben mit und landeten schließlich bei Farnborough Radar. Der Mann auf dem Tower hatte die Worte "Stay below 1000 ft" noch nicht komplett ausgesprochen, da hatte sich das sonst recht ausgeglichene Verhältnis zwischen grün und blau voraus extrem nach grün verschoben. Dirk neben mir stach ebenfalls in Richtung Erde und wir konnten der Versuchung nicht widerstehen. Es zuckte förmlich im Steuerknüppel und die Rolle musste her. Wir ballerten tief über die sanft geschwungenen Höhen mit ihren durch Steinmauern geteilten Felder. Sogar die Katana gab alles und so donnerten wir kurz darauf an Duxford vorbei. Dirk rastete noch die dortige Frequenz und tatsächlich befanden sich mehrere Warbirds in der Luft und übten für die bevorstehende Airshow. Folwmere ist nur wenige Meilen westlich und wir umkreisten den Platz und riefen jeder selbständig die Funkstelle. Offensichtlich war niemand zuhause und so setzte Matul einfach zur Landung an. Getreu der Formationsordnung machte ich wie üblich die Nummer zwei. Der Anflug ging über eine kleine Strasse und sofort fiel mir der Linksverkehr auf, da ich noch über einen Bus hüpfen musste. Der Grasplatz war erstklassig und nicht mit unserem Acker in Heppenheim zu vergleichen. Der Tommy hat damals gute Arbeit geleistet. Matul parkte seine Katana am Rande eines Rübenackers und öffnete die Haube. Ich reihte mich ein, checkte die Magnete und zog den Mixer. Christian hatte sich noch angeschnallt im Cockpit ein Bier aufgemacht und prostete mir zu. Ich hatte so schnell ebenfalls eine der grünen Pullen in der Hand, dass ich Dirk und Josef ebenfalls zuprostete, während die beiden gerollert kamen. Wir hatten es gepackt, unsere Invasion war geglückt.

Noch vor einigen Stunden zogen vier Typen den Fuß von einem Grasacker ins Flugzeug um ihn später wieder auf einen Grasacker zu setzen. Jetzt befanden wir uns in einem anderen Land, hatten keinen Flughafen, Seehafen, Bahnhof, ja noch nicht einmal einen Zollbeamten gesehen. All dies war überaus überwältigend und für jeden von uns eine neue Erfahrung. Was wohl die alte Flugplatzmannschaft von folgender Prophezeiung gehalten hätte: "In 70 Jahren kommen hier die Jerrys mit selbst gebauten Flugzeugen auf Euren Flugplatz und saufen Bier und labern Scheiße". Die gute Laune und das breite Grinsen war nicht aus unseren Gesichtern zu bekommen. Das Flugfeld und die Hallen in Folwmere gehören einem entspannten und freundlichen Lottomillionär, der uns in die Lokalität einwies. Der spielt einfach ein bisschen Flughafen und ist ernsthaft zu beneiden. Neben uns befanden sich noch einige andere, in der Überzahl deutsche, Flugzeuge auf dem Platz. Am anderen Ende parkte eine AN-2 voller dicker Sachsen und sogar eine PA-18 und ein Scheibe-Falke waren da. Da uns die Biervorräte knapp wurden und sich Hunger breit machte, marschierten wir die Allee vom Flugfeld ins Dorf entlang.


Der einzige Pub in dem kleinen Kaff war urgemütlich und der Umstieg auf das englische Bier war angesichts der fortgeschrittenen Stunde einfach. Wir saßen im Biergarten und ertrugen die skeptischen Blicke der etwas rauen Lokalbevölkerung. Dirk, Christian, Josef und ich waren allesamt weichgespülte Mittelklasse-Bildungsbürger und hatten den kahlköpfigen und schwerstens tätowierten Einheimischen mit ihren kleinen Hunden an Rauheit und Coolness nichts entgegenzusetzen. Und wie schnell sich erst die Tatsache, dass im Biergarten "The Hun" in Stärke vier hockt, herumgesprochen hatte. Die allgemeine Höflichkeit wurde gewahrt und wir behielten alle unsere Schneidezähne. Trotzdem haben die Tommys für Krautfresser, die hier zahlreich mit Ihren Flugzeugen einfallen, verständlicherweise wenig übrig. Ich schätze ja die Engländer wegen Ihres schwarzen Humors, möchte aber nicht wissen, was in meinem Shepards-Pie als nachträgliche Vergeltungsmaßnahme noch so alles enthalten war. Als Anmerkung: Ich habe ein Semester in England studiert und war mit den "Royal Green Jackets" auf Nato Übung in Norwegen. Ich weiß, wie die ticken können und mich würde menschliches Eiweiß (gleich welchen Ursprungs) als zusätzliche, heimliche kundenspezifische Sonderzutat wenig überraschen. Dazu bezeichne ich mich nicht als grundsätzlich misstrauisch, paranoid oder pessimistisch. Nach vielen Fosters, Labbats und Stouts schleichen wir uns in Richtung Flugplatz. Wir fallen besoffen die Allee hinauf und lallen in die windige Dunkelheit. Zwischen den Flugzeugen haben die Sachsen eine Mordsfeier am laufen. Die Cessna-Leute grillen Ihre Würstchen. Wir schnappen uns jeder ein Restbier und stolpern in Richtung der leuchtenden Grillholzkohle. "Seid Ihr der Weihnachtmann?" tönt es aus einer dunklen Ecke. Auf Dirk's "Hä?" kommt nur: "Singt uns wenigstens ein Weihnachtlied, dann schenken wir Euch auch ne LED-Taschenlampe". So ein Teil könnten wir tatsächlich brauchen und prompt tönt es aus zwei Kehlen ein kratziges und hohles, aber spontanes: "O Tannenbaum, O Tannenbaum...". Die Typen sind etwas überrascht und zögern, uns nach der vollendeten Vorstellung die Dinger auszuhändigen. Dirk ist höflich uns meint: "Lasst stecken Jungs, wenn Ihr nicht wollt...". Ich hingegen bin etwas angefressen. Da lassen die uns den Kasper machen und dann kneifen Sie. Am Ende suchen wir unsere Zelte mit zwei nagelneuen Minitaschenlampen.
Freitag der 09.07.2010. Die Flugshow findet erst morgen statt, also beste Gelegenheit, das Museum anzuschauen. Nach Duxford fährt uns ein kleines, englisches Taxi, kurz darauf machen wir erste Feindberührung mit englischem Frühstück. Bei der Kulisse, mit haufenweise Rolls-Royce-Merlin Gebrumm in der Luft aber ein super Erlebnis. Ich persönlich schätze so ein "english breakfast".



Das Museum ist toll und eigentlich stört nur die Hitze. Wir schaffen es in alle Flugzeuge und die Ausstellung ist absolut sehenswert. Vor dem Bücherregal sitzt Philip Gray und verkauft handsignierte Ausgaben seines Buches: "Ghosts of Targets Past". Dirk und ich erwerben ein Exemplar. Nachdem ich es gelesen hatte, möchte ich behaupten, dass ich selten ein so reflektiertes und faszinierendes Stück Geschichte lesen durfte. Es ist wie bei "Das Boot". Es geht nicht um Fahnen, Helden und Ehre oder Kriegsgerät, sondern um Menschen, die sich mit der Situation Krieg konfrontiert sehen. Mein Kommentar: Gerade für einen Flieger absolut lesenswert. Gegen Abend nehmen wir uns ein Taxi rüber nach Fowlmere. Der tschechische Taxifahrer verarscht uns und hat überhaupt keine Ahnung, wo es langgeht. Wir wollten eigentlich zu einem Geldautomaten, da sich die Engländer erfolgreich gegen den Euro wehren. Daraus wird aber nichts und so trägt unsere Absicht, mit Karte im Pub zu bezahlen, nicht gerade zu unserem sowieso schlechten Ruf unter der Lokalbevölkerung bei. Wir halten uns mit dem Biersaufen etwas zurück, da wir nicht morgen mit dickem Kopf den ganzen Tag in der Sonne sitzen wollen.
Samstag 10.07.2010. Der große Tag ist da. Für Frühstück ist gesorgt, denn ein über Nacht angeschleppter Imbisswagen bietet Kaffee, Rolls, Bacon and Egg, Beans on Toast und noch weitere kulinarische Besonderheiten der Insel. Als wir in dem alten Flugzeughangar bei weit geöffneten Toren, auf Plastikstühlen sitzend, unser Breakfast hineinmümmeln, denke ich wieder an die Belegschaft vor 70 Jahren: "Look at them jerrys having breakfast in our hangar". Auf den Flugplatz fährt uns ein Shuttlebus, der in mehreren Wellen alle Eingeflogenen übersetzt. Auf dem Rückweg bringt der Bus jeweils einen Schwall "Planespotter", die mit ihren Kameras und Notizblöcken sogleich zum Angriff auf unsere Flugzeuge übergehen. Die Anwesenheit des Feindes hat sich offensichtlich herumgesprochen. Die Fahrt nach Duxford dauert nur wenige Minuten. In der sengenden Hitze stellen sich Sonnenschirme und Klappstühle als Verkaufsschlager heraus. Die Airshow ist einmalig und ich habe noch nie eine solche Menge fliegende Spitfire gesehen. Dazu laufen am Boden einige Leute in authentischen Uniformen herum. Die Atmosphäre der 40er Jahre kommt wirklich gut rüber. Es gibt sogar ein kleines Lazarett mit original geschminkten und gekleideten Krankenschwestern.


 

Wir treffen zufällig auf einige Leute meines Heimatvereins, die selbst allesamt Flugzeugbesitzer oder Berufpiloten sind. Die Herren zogen es aber vor, mit einem Reiseveranstalter überzusetzen. Ob das ein schlechtes Ohmen für den Rückflug ist? Nach diesem Tag voller Eindrücke und haufenweise Flugzeugen holen wir noch ein Wetterbriefing ein, was für den kommenden Tag nicht besonders gut aussieht. Dazu herrscht wegen des Abreiseverkehrs ein Riesenchaos. Nach der Erfahrung mit der Taxifahrerei vom Vortag, beschließen wir den Weg zurück nach Folwmere zu Fuß und querfeldein zu machen. Mir marschieren einfach nach Richtungsgefühl drauf los und fühlen uns alsbald wie die im Feindesland abgeschossenen Piloten. Für die richtige Geräuschkulisse sorgt das allgegenwärtige Motorengebrumme aus Duxford und die gasbetriebenen Vogelschreckanlagen, die überall in der Landschaft stehen. Wir durchstreifen die Heckenlandschaft und finden recht zielsicher auf das kleine Flugfeld zurück. Josef, Dirk, Matul und ich nehmen eine Dusche an dem Wasserschlauch hinter der Halle. Schließlich wollen wir zivilisiert und diesmal mit reichlich Bargeld im Pub einfallen. Vielleicht bietet sich auch ein kurzer Blick auf das Spiel um Platz drei "Deutschland gegen Uruguay" der Fußball WM 2010. Die Engländer sind natürlich auf der Seite der Südamerikaner und geben bei jedem Tor kräftig laut. Wir ziehen den Biergarten vor und bekommen auch deutsche Tore durch Murren und Stöhnen deutlich mit. Als ich todesmutig am Tresen eine Runde Bier hole, meint einer der Engländer, aus der Fernsehecke: "Looks like the Jerrys are playing in SS-Unimforms". "Indeed, they bloody do" meint lachend sein Kollege. Wohl eine kleine Anspielung auf die schwarze Trikotfarbe unserer Mannschaft. Ich versuche, den Biererwerb ohne Worte abzuwickeln um nicht auch noch als Deutscher aufzufallen. Unsere Gespräche drehen sich inzwischen um den problematischen Rückflug und wir schauen alle etwas ängstlich an den Himmel.




Sonntag 11.07.2010. Regenschauer trommeln auf mein Zelt und ich male mir schon aus, wie lange wir wohl hier festsitzen. Bei ordentlich Wind und deutlich kälteren Temperaturen laufen wir rüber zur Imbissbude und trinken Kaffee. Dirk und Matul holen mit Ihren Telefonen Wetterinformationen ein und geben unseren Flugplan auf, obwohl ein Rückflug derzeit noch fraglich ist. Meine Hoffnung richtet sich auf den dünnen, hellen Streifen am Horizont  unter der geschlossenen Wolkendecke auf Kursrichtung. Ein weiterer Schauer lässt uns tiefer in den geöffneten Hangar flüchten. Das Wetter über der Nordsee soll aber gut sein, Midden-Zeeland meldet 10 km Sicht und so schöpfen wir neue Hoffnung. Wir sagen "bye bye, see you next year", holen noch ein aktuelles Wetter ein und starten in Richtung Heimat.


Das Wetter stellt sich als gut heraus, was auch diverse Funkmeldungen aus Amsterdam bestätigen. Allerdings überfliegen wir über dem Meer eine geschlossene Wolkendecke, die sich laut Wetterbericht über Holland von "Overcast" nach "Broken" ändern soll. Ich habe als einziger keinen künstlichen Horizont und daher beschleicht mich ein mulmiges Gefühl. Dirk hingegen, kann sich nicht beherrschen und gibt seiner Ecko-Sierra die Sporen. Er fetzt ordentlich durch den Himmel und nimmt dabei die unglaublich glatte und strahlend weiße Wolkenoberfläche in 5000ft als Boden an. Ein einmaliger Anblick, bei dem ich Dirks Flugzeug von allen Seiten betrachten kann...
Unser Flugplan endet in Nordhorn-Lingen und so setzen wir am frühen Nachmittag bei sengender Hitze zum Abschlusskaffe auf. Unter einem Sonnenschirm reflektieren wir bei alkoholfreiem Weizenbier das Erlebte.


Wegen der nahenden Gewitterfront kommt aber nicht so richtig Entspannung auf und so schaut jeder, dass er heimkommt. Wir sagen im Funk "Tschüss" und nehmen Kurs auf unsere Heimatplätze. Bei Kassel stehen die schweren Cumulunimbus und ich melde mehrfach die Wettersituation an Bremen Information, da offensichtlich einige Flieger Probleme haben. Das Rheintal gibt sich wie immer stickig, dunstig und etwas wärmer als der Rest. In Heppenheim ist komischerweise absolut nichts los und so rolle ich ganz einsam vor die Halle. Ein Regenschauer, der im Moment des Motorabstellens einsetzt, erleichtert mir das Putzen. Das bisher größte Abenteuer in meiner RV-4 hat ein Ende.